Jakob M. Gretler : Gedichte

Jakob M. Gretler

(C) 2015 Erben Gretler Jakob
c/o R. Bohny-Gretler, Thurgauerstr. 10, CH-9400 Rorschach.

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Jakob M. Gretler (26.08.1917 — 26.09.2014)

Mein Vater hat seit seiner Jugend bis ins hohe Alter immer wieder Verse geschmiedet. Bis kurz vor seinem Tod hat er, wenn er nachts aufwachte, Papier und Bleistift verlangt, um seine Gedanken zu notieren. In seinen letzten Jahren hat er noch selber seine Gedichte geordnet und zusammengestellt, da er sich immer gewünscht hat, diese eines Tages gedruckt zu sehen. Leider war ihm dies nicht mehr vergönnt. Aus diesem Grunde habe ich die in seinem Nachlass vorgefundenen Gedichte gesammelt und hoffe, mit diesem Bändchen seinen lange gehegten Wunsch erfüllt zu haben.

Rorschach, 26. September 2015, Renate Bohny-Gretler

Die Gedichte sind in elektronischer Form publiziert unter: http://jgretler.gomen.org/


I. Aus dem Notizbüchlein

Wir haben unsern Sparren

Wir haben unsern Sparren
und machen uns wichtig und breit,
mit Tand beladen den Karren
ziehn wir und kommen nicht weit.
Indess wir im Unsinn beharren,
benagt uns der Zahn der Zeit.
Sind wir nicht alle Narren
menschlicher Eitelkeit?

Wiegenlied

Kleiner Junge, schlafe ein.
Droben an des Himmels Bogen
sind die Sternlein aufgezogen,
gucken in dein Kämmerlein,
wollen sehen, ob du brav
schlummerst bis zum andern Morgen.
Sei in Gottes Huld geborgen.
Lieber kleiner Junge, schlaf!

Kleiner Junge, schlafe ein.
Schau, es träumt die ganze Erde.
Träum von deinem Schaukelpferde
und von den Gespielen dein.
Morgen, wenn die Sonne lacht,
woll'n wir tausend Spässe machen,
freuen uns an vielen Sachen.
Kleiner Junge, gute Nacht.

Nicht jeder, der zu Pferd sitzt

Nicht jeder, der zu Pferd sitzt, ist mir ein Reiter.
Nicht jeder, der den Degen trägt, ist mir ein Streiter.
Nur wer da mutig stürmt auf harten Wegen,
dem reiche ich die Freundeshand entgegen.

Lebensfreude

Mit Trense und Bügel
auf rasendem Pferde
däucht mich, die Erde
gehört mir allein.
Ich fühle mich mächtig.
Es ist so prächtig,
ein toller, verwegener Reiter zu sein.

Ritt in die Freiheit

Aus grauer Stadt und dumpfen Gassen
flieh' ich auf meinem Pferde in die Weiten,
wo Sonnenstrahlen über Ähren gleiten,
wo tausend hingestreute Seligkeiten
ein adeliges Herz erklingen lassen.

Abraxas (*)

Du bist das Gute wie das Böse
in der vollendeten Gestalt.
Du bist des Schicksals Allgewalt.
Kein Gott lebt, dass er uns erlöse
vom allzu Schweren dieser Welt.
Du bist die Kraft, die alles hält.
Erlösung gibt es nur vom Wahn,
und so erlöst durchschreiten wir das Leben
nach Deinem unbedingten Plan.
Du aber sollst uns Mut und Stärke geben,
zur Zeit die schwere Tat zu wagen
und frei das Zeichen an der Stirne tragen.

(*) Gnostische symbolhafte Bezeichnung für das höchste Urwesen, aus dem die fünf Urkräfte Geist, Wort, Vorsehung, Weisheit und Macht hervorgegangen sind. Dieses wird auf spätantiken Gemmen als Wesen mit Schlangenbeinen und Hahnenkopf dargestellt.

Des Herzens Drang nach Reinheit

Des Herzens Drang nach Reinheit, Sieg und Kraft
ist eines Menschen schönste Leidenschaft.
Weist dieser Drang den Weg der Jugend,
erhöht die Leidenschaft sich selbst zur Tugend.
Und diese Tugend wird zur Lauterkeit verklärt,
wenn Edelsinn den Drang des Herzens nährt.

Fortuna favet fortibus (*)

Immer will ich gut und tapfer sein,
ob auch Schweres mir beschieden,
und im Kampfe wie im Frieden
sei von Niedertracht die Seele rein.
Denn des Glückes Göttin ist dem Starken hold;
doch ich ford're nicht der Sterne Runde,
und für einen Kuss von ihrem Munde
zahl ich willig den verlangten Sold.

(*) Das Glück ist den Starken hold.

Morgenröte

Gross war das erste Morgenrot,
undenkbar weit liegt es zurück.
Nichts weiss der Mensch,
er wähnt und glaubt.
Gross ist das Licht der Gegenwart,
zu gross, gesamthaft zu erschau'n.
Nichts weiss der Mensch,
er steht und träumt.
Gross wird das letzte Morgenrot,
undenkbar weit ist es entfernt.
Nichts weiss der Mensch,
er glaubt und hofft.

Küsse die Rose

Küsse die Rose, denn du bist ihr gleich.
Fröhliche Tage, sonnenreich
kommen und gehen und flieht dich die Zeit,
schreite lächelnd ins Schattenreich.
Herr, wenn es Zeit für mich, den Tod zu schauen,
lass eine Gruft mir zwischen Rosen bauen,
denn was als Dichter mir versagt geblieben,
möcht' ich als Rose einst dem Frühling anvertrauen.

Wer irgendwo in weiter Welt

Wer irgendwo in weiter Welt
bei einer Kerze Licht
das Dunkel dieser Nacht durchbricht,
ist mit verwandt.
Wer irgendwo in weiter Welt
sein schweres Haupt vom Lager hebt,
ob seines Herzens Schlag erbebt,
ist Bruder mir.
Wer irgendwo in weiter Welt
sein Herz dem Weltenherz vereint,
in namenloser Trauer weint,
ist Schwester mir.
Wer irgendwo in weiter Welt
ein starkes Herz im Busen trägt,
das ruhig, still und tapfer schlägt,
ist Vater mir.


II. Das Weinbuch

Widmung

Dies ist das Buch vom edlen Wein
und von dem Glück der Stunde
von Sternenglanz und Sonnenschein
und manchem roten Munde.
Der Gott der Reben wachsen liess
der mich die Liebe lehrte
der mich die Verse schreiben hiess
dass sie der Trübsal wehrte.
Ihm sei dies fromme Buch geweiht
in Freuden und in Leiden
und ruft mich einst die Erntezeit
So will ich dankbar scheiden.

Mein treustes Liebchen

Mein treustes Liebchen auf der Welt
das liegt im Keller drunten.
Sein Röcklein ist aus Holz erstellt
geziert mit Hahn und Spunden.
Und als ich an dem Hahn gedreht
und an dem Spund gerochen,
hab' ich mich an mein Lieb' gelegt
und ihm die Treu' versprochen.

Trink Deinen Wein

Trink Deinen Wein mit heitrem Sinn,
dann liegt der Segen Gottes drin.
Doch trinkst Du ihn mit finstrem Mut,
vergiftet er Dir Geist und Blut.

Wieder sass ich heut einmal

Wieder sass ich heut einmal
bei dem vollen Krug,
lachte über Sorg' und Qual
und des Glückes Trug.
Hab beim vollen Becher Wein
mir die Zeit verkürzt,
und der Wirtin Mägdelein
hat den Trank gewürzt.
Besserung versprach ich einst
Rückfall war dies nun.
Mütterlein wenn Du jetzt weinst
solls mir leide tun.
Bei der Schenke vor dem Tor
stocket stets mein Schritt.
Dringet Becherklang ans Ohr
trink ich eben mit.

Ich weiss ich bin ein schlimmer Kerl

Ich weiss ich bin ein schlimmer Kerl
ich selber bin betroffen,
dass ich die ganze Nacht hindurch
mich wiederum besoffen.
Ich weiss schon, dass ich Dir versprach
die Flasche ganz zu meiden,
an Wasser und an frommen Sprüch'
die Seele mir zu weiden.
Nun bin ich wieder umgefallen
und steh betrunken hier;
juchhee ich bin so willensschwach,
und das macht mir Pläsier.

Tinctura probata

Reich mir den Krug vom Brett herab,
Herr Wirt, und füll ihn ein.
Da ich kein treues Liebchen hab,
so tröste mich der Wein.
Wie des Burgunders Feuerglut
hat sie mich angelacht,
und stürmisch wie des Weines Flut,
war ihrer Lippen Macht.
Den Krug herbei, reicht ihn herum,
noch einmal sei gelacht.
Schlägt einst der Tod die Tafel um,
dann, Brüder, Gute Nacht.

Im Rheine liegt ein Kleinod

Im Rheine liegt ein Kleinod
heisst Nibelungenschatz,
das wurde vor viel hundert Jahren
versenkt an verschwiegenem Platz
und wird dort gehütet dass keiner der lebt
in frevelnder Habgier den Wunderschatz hebt.
Im Keller da liegt ein Kleinod
heisst Magdenauer Wein,
den legten die frommen Küfer
still in ein Fass hinein
und wird dort gepflegt wie 's Kind an der Brust
dem Herrgott zum Dank und dem Zecher zur Lust.
Im Bettchen da liegt ein Kleinod
sag' Keinem wie sie heisst,
weil all mein Sinnen und Trachten
nur um ihr Herze kreist.
Mit ihr will ich mich freuen bei Liebe und Wein
dann kann ich verzichten auf 's Kleinod im Rhein.

Einsicht

Ein weiser Mann von hohen Gnaden
wird immer seine Gründe haben
des Tag's des Nacht's sich seinen Wein
zu giessen in den Schlauch hinein.
Drum soll man ihn nicht hindern dran
trinkt er sein Fass auch leer und hohl,
der fromme gute weise Mann
trinkt auf der Menschheit Wohl.

Es sass einst ein König

Es sass einst ein König am Abend
einsam bei seinem Wein
sein tieftraurig Herz erlabend
bei stiller Kerze Schein.
Der arge Zerfall der Sitten
des Volkes schnitt ihm ins Herz.
Er war durch die Lande geritten
und hörte nicht Sang und Scherz.
Er roch nur üble Gestänke,
man reichte ihm Wasser hin,
und fade wie die Getränke
war auch des Volkes Sinn.
Das Volk sprach nur von Motoren
und was an der Börse sei.
Das war für des Königs Ohren
noch schlimmer als Kriegsgeschrei.
Drum sass er an jenem Abend
bei stiller Kerze Schein
sein tieftraurig Herz erlabend
am Ottenberger Wein.

Entferne die Zweifel

Entferne die Zweifel eh Du einlenkst
Entfern den Korken eh Du einschenkst
Das harte Schicksal, glaube mir
wird leichter durch den Zapfenziehr.

Trink Wein!

Trink Wein solang der Erde Pracht
dein schönheitstrunken Herz erfreut,
dass nicht in deiner letzten Nacht
Versäumtes dich im Herzen reut.
Küss deiner Liebsten Rosenmund
solang der Sonne Glanz dir scheint,
dass nicht in deiner letzten Stund
Amor ob deiner Torheit weint.
Und hast du dann ein Leben
getrunken und geküsst,
kann keiner dir vergeben
was dich gereuen müsst.

Und wieder hat des Sommers Glut

Und wieder hat des Sommers Glut
die Trauben reifen lassen,
belohnet ist des Winzers Mut
wie schwenkt er freudig seinen Hut,
der Herbst zieht durch die Gassen.
Der Nebel zieht den Bach entlang,
nur zögernd steigt die Sonne,
da jauchzt vom Berg ein heller Klang
und jubelt durch den Rebenhang
von Winzermüh und Wonne.
Von Rebenlaub den Winzerkranz
setzt oben auf den Wagen
und lasset uns bei Spiel und Tanz
viel Dank für Wein und Sonnenglanz
dem Gott der Reben sagen.

Lasst uns den Zecher zum Könige küren!

Lasst uns den Zecher zum Könige küren!
Den Becher soll er als Zepter führen,
als Krone sei ihm ein Humpen geliehn.
Spunten und Hahn erklärt zu Juwelen,
lasset die Räuber die Staatsgelder stehlen,
Muckser lasset ins Pfefferland ziehn.
Lasst uns die Erde mit Reben bebauen,
Gerste und Hopfen lasset uns brauen,
Keltert den Apfel zum köstlichen Saft.
Kork sei ein herrliches Kleinod der Erde,
Segnet die Schnäpse mit frommer Gebärde
und den Brenner der Solches erschafft.
Aergert Euch nicht wenn sie uns verhöhnen!
Dieser Pokal soll alle versöhnen,
wer uns beschimpft dem woll'n wir verzeihn,
Lasst den Gesang ans Herze Euch legen,
trinkt einem neuen Frühling entgegen,
Schäumender Freude woll'n wir uns weihn.

Kreuzbass, das ist ein starkes Stück!

Kreuzbass, das ist ein starkes Stück
man will mir nichts zu trinken geben
Gott hat zu jedes Mannes Glück
dem Weinstock seinen Segen geben.

Hat er gefragt ob in der Kreide
ein Schäfchen stünd auf seiner Weide?

Er tat es nicht und hat somit
dem Wirte das Gebot gegeben
Wer je an argem Durste litt
den tränke mit dem Saft der Reben.

Sei willkommen lieber Bruder

Sei willkommen lieber Bruder
hier in stiller Waldesruh.
Schau die Welt ist voller Luder
alles rennt dem Mammon zu
Aber hier beim kühlen Trunk
störet uns nicht Zank und Stunk
und des Trinkens fromme Ruh
hüllt Dich ein und deckt Dich zu.


III. Verse an Ursula

Da ward ein Wunsch von Blüten ausgesprochen

Da ward ein Wunsch von Blüten ausgesprochen,
Ein Sehnen bloss, von keinem Laut verletzt,
Und keine Grenzen waren ihm gesetzt,
An keinem Berge ward sein Klang gebrochen.
Des Waldes Tier hat scheu den Duft gerochen
Und hat sein ängstlich Herz daran ergetzt.
Wie zarter Tau hat er die Flur genetzt,
Ein reiner Wunsch von Blüten ausgesprochen.
Des Frühlings Sonne gab ihm erst Gestalt,
Des Sommers Regen gaben ihm die Kraft,
Die Stürme hauchten ihm den Odem ein,
Des Herbstes Nebel sprachen weise: Halt.
Da leuchtete die Frucht an starkem Schaft
Und war, wie einst die Blüte, klar und rein.

Das Luftschloss

Das Räuchlein meiner Abendpfeife
durchkräuselt zart mein Kämmerlein,
dass still des Herzens Friede reife
und meine Seele ganz begreife:
Einsam bin ich, doch nicht allein.
Die frohe Schar der Winzerinnen
umtanzt im Geist des Weines Duft,
und sachte mischt sich in mein Sinnen
der Liebe zärtliches Beginnen
und baut ein Schloss aus reiner Luft.

Der raue Westwind

Der raue Westwind zauste nächtens
meinen Garten.
Der Pflaumenbaum litt unter seiner
ungestümen Liebe.
Doch jetzt, im ersten Frühlingssonnenschein,
lag ein Verzeihen über Busch und Blume.

Der wilde Wein am Pferdestall

Der wilde Wein am Pferdestall
hat sich in Rot gekleidet.
Die alte Stute, die das letzte Grün
beweidet,
zuckt leise nur beim Fall
der reifen Äpfel.
So klar und rein wirkt Sonnenlicht
den stillen Frieden.

Der Reiter

Den richtigen Begriff von seiner Lust
erkennt der Laie nur im Scherenschnitte,
wo Mann und Pferd ein Ganzes zeigen.
Das Doppelwesen mit der Doppelbrust,
mit zweifach starkem Herzen in der Mitte,
zweifach beseelt im freibemess'nen Reigen.
Vom Huf zum Schenkel zur geschulten Hand,
vom Zaum zum Sattel bis zur schlanken Lende
ist nur ein Wille, der die Pfade weist.
Die kleinste Lust, die nur ein Haar empfand,
durchrieselt bis zum letzten Nervenende
die freie Paarung zwischen Kraft und Geist.

Erste Mutterschaft

Begleitend zieht durch Deiner Adern Fluss
ein halb vergessen Lied von tiefen Seen,
ein fremder Duft von wilden Orchideen
erinnert Dich an seinen letzten Kuss.
Du achtest auf den kleinsten Sonnenstrahl,
indes Dein Fuss nach sich'rem Grunde tastet,
Dein sonnenheller Blick so gerne rastet
dort an der Kinderschar im stillen Tal.
Und alle Tage, da ich Dich gesehn.
wie Du der Niederkunft entgegen schrittest,
sah ich die Welt von neuem auferstehn.
Was Du an Glück erlebt, an Schmerzen littest,
noch war nie Grösseres an Dir geschehn
als diese Frucht um deren Sein Du bittest.

Hässliche Raupe

Ich bin eine hässliche Raupe,
die an den Blättern nagt,
bis die Zeit der grossen Verwandlung
im späten Herbstlicht tagt.
Dann spinn' ich mich ein in den Kokon
zu einer zeitlosen Rast
und ergib mich der Kraft des Himmels,
die meine Seele erfasst.
Doch wenn meine Stunde gekommen,
brech' ich den Kokon entzwei
und breite die Flügel des Falters
ins grosse Licht und bin frei.

Ich wandre durch den Raum der Zeit

Ich wandre durch den Raum der Zeit
den Pilgerweg der Einsamkeit.
Hier lädt kein Haus zur stillen Rast,
hier wartet niemand auf den Gast.
Kein Weggefährte spricht ein Wort
die Strasse dehnt sich ewig fort.
Ich weiss nicht, wo der Anfang war,
des Zieles bin ich gänzlich bar.
Doch nimmt einmal die letzte Stund
den letzten Hauch von meinem Mund,
dann tauch ich in das grosse Licht.
Wie ich bestehe, weiss ich nicht.

Imanogule (*)

Nicht der Stolz hebt mich zu Dir empor,
noch die Demut führt mich an Dein Tor,
nicht der Glaube reisst mich aus der Nacht,
noch der Wille führt zu Deiner Macht.
Nur das Unbedingte, alle Zeit Bereite
zum Gesetz lenkt hin an Deine Seite.
Nur das tiefere Wissen von der Bahn,
dieses Sich Hingeben an den Plan
aller Sonnen, Monde und Planeten,
dieses unbedenklich Deinen Weg Betreten,
unberückbar, innerlich bereit
zum Gesetz ist reine Seeligkeit.
Nur das sprachenfremde Lassen im Gezelt
der Gesetze lenkt den Lauf der Welt,
lässt die letzte Stufe uns ersteigen,
fügt uns ein in der Gestirne Reigen.

(*) türkisch für: 'Sohn des Glaubens'

Letzter Schnee

Liegt ein kleines Restchen Schmelz
unten an der Dornenhecken.
Schüchtern will es sich verstecken,
weil die Amseln gar so necken
Fetzen aus des Winters Pelz.
Winters Kleid ist arg zerzaust,
liegt umher in kleinen Stücken.
Übermütig summen Mücken,
Sonne komm uns zu beglücken.
Und dem kleinen Restchen graust.

Lied der Wasser

Wir sind die Fluten der Erde,
ewigwach
tausendfach
ist unsere Gebärde.
Wir sind die unendliche Herde
schalenfüllende
umhüllende
gleissende
reissende
alles wagende
alles zernagende
unendliche Macht, die alles bezwingt.
Die Fontäne, die zum Himmel springt,
Der Grundstrom in der Erde Nacht,
Das Eis, das den Seemann zittern macht,
Die Quelle, die mit den Kindern tollt,
Die Lawine, die mit dem Berge grollt,
Der Fluss, der alles Lebende tränkt,
Der Nebel, der die Kranken kränkt,
Die Schneeflocke, die sich auf Gräber setzt,
Der Frühlingstau, der die Blumen netzt,
Alles sind wir.
Selbst des Feuers Hitze kann uns nicht schaden,
Wir übersteigen 's in dampfenden Schwaden.
Wir sind die mächtigen Brüder der Zeit.
Wir sind die Wasser, die Ewigkeit.

Peridot*

Er spielt im Glase wie ein Peridot
und rührt die Seele mit der Iris Feuer.
Hier spricht kein Held, kein König und kein Gott,
hier steht der Liebe Göttin selbst am Steuer.
In sanfter Hügellandschaft aufgewachsen
spürt er die Kraft, die aus der Tiefe strömt,
denn an dem Kreuz geheimnisvoller Achsen
ahnt nur der Pendler, was die Früchte krönt.
Geheimnisvoller Gau, an deinen Hängen
durchpulst ein Strom der Pflanze stilles Sein,
und deiner Erde Geist in langen Gängen
des stillen Grundes spricht aus deinem Wein.

(*) Halbedelstein der Olivingruppe

Vorfrühling

Einem Webstuhl gleicht die Erde,
Kommt der Frühling, um zu wirken,
Frisches Grün aus schlanken Birken,
Dass der Wald lebendig werde.
Veilchen suchen ihre Düfte
Aus dem matten Gras zu heben.
Frohe Kinderstimmen weben
Helle Lieder in die Lüfte.
Wolken sticken auf die Weide
Keck groteske Schattenbilder.
Sonnen weben zartes Silber
In des Himmels blaue Seide.

Weggenossen

Als ich von Deinem Schicksal hörte,
dem dunkeln Tal, das Du durchwandert hast,
dem tiefen Schmerz, der Dich erfasst,
des Volkes Schrei, der Deine Trauer störte,
Da wich die Hälfte meiner Last.
Der Geist, der Deine Bitte nicht erhörte,
das Morgenrot, das Deinen Traum zerstörte,
sie mordeten auch meines Herzens Rast.
Nimm diese Hand als Bruderhand entgegen.
Uns hat derselbe schöne Traum umfangen.
War auch der Wunsch zu kühn und zu verwegen,
sind wir doch mutig unsern Pfad gegangen.
Auf später Zukunft unerforschten Wegen
folgt uns das Lied, das einst die Lerchen sangen.


IV. Vermischte Gedichte

Vom Leben und vom Sterben

Bauerntod

Herr, ich weiss, auch mir schlägt einst die Stunde
jene Stunde, die das Licht mir bringt,
heil'ges Licht, das heller als die Sonne
durch des Erdenlebens Dunkel dringt
Jahr und Tag hab ich mit Deiner Hilfe
meine Wiesen und mein Feld bestellt.
Herr, Dein Wille hiess mich Bauer werden,
nimm als Bauer mich von dieser Welt.
Wenn ich einst die reifen Garben binde,
schick den Tod durch's Ährenfeld zu mir
lass mich über eine Garbe sinken,
gläubig zieht die Seele dann zu Dir.

Ein scharfer Zug weht über den See

Ein scharfer Zug weht über den See
und pfeift mir um die Ohren:
Was tust du hier noch,
deine Jugend ist längstens verloren.
Deine Jugendfreunde sind alle längst
in die seligen Weinberge gewechselt,
und du sitzest hier alleine und hängst
an den Versen die du gedrechselt.
Erst hab ich gelassen zugehört
dem frechen Rauschen im Winde,
doch dann hat's mich schliesslich doch gestört
des Phöbus ungezogenem Kinde.

Was geht dich schliesslich mein Alter an,
ich fühl mich noch jung und berechtigt,
zu drehen an manchem köstlichen Hahn,
wozu mich mein Schicksal ermächtigt.
Noch ist nicht jede Wange geküsst
und nicht jeder Jahrgang gekostet,
zu resignieren ist immer noch Zeit,
bin ich einmal müd und verrostet.
Doch ist es eben noch nicht soweit,
und ich dank es den Göttern von Herzen,
wenn ich noch eine geraume Zeit
geniesse mit trinken und scherzen.

Auch Bäume sterben

Auch Bäume sterben
so wie alle Wesen
sie fallen hin
und sind nicht mehr
in ihrer Form.
Doch ist kein Tod
zerbricht die Form
ersteht aus diesem
ewigen Impulse
ein anderes Sein.
In dieser Kraft
die ewig wirkt
die unaufhörlich
neues Sein gestaltet
erkenn ich Dich
das Ewige
das Unnennbare.
Auch die Töne sterben
wie die Blumen
wandeln sich in
unsichtbarer Ferne
formen sich zu Kinderlachen
Hammerschlägen
Donnergrollen
und dem Zwitschern
kleiner Vögel
ewig ist auch dieses Leben
in der Wandlung
allen Seins.

Es geht zu End des Lebens Tanz

Es geht zu End des Lebens Tanz,
ich zieh vorerst einmal Bilanz,
bevor Freund Hain ans Haustor klingelt
und so ein Sterbeglöcklein bimmelt.
Wenn es dann doch noch länger dauert
ist auch das Fundament gemauert
auf dem die Nekrologe bauen
um alles kurz zu überschauen.
In diesen über 80 Jahren
ist mancher Furz schon abgefahren
und hat damit den Leib entlastet.
Ich habe selten streng gefastet,
Auch dieses sei hier aufgeschrieben
und damit öffentlich bekundet.
Ich hab nie Völlerei betrieben
mit Speisen die mir nicht gemundet.
Und deut nicht jedes Zittern schon
als Alzheim oder Parkinson!
Die Diagnose ist kein Wunder
denn meistens liegt es am Burgunder.

Der Narr

Nirgends ward mir ein Heimatland
Namenlos irre ich durch die Welt
In Regen und Sturm nirgends ein Zelt
Und nirgends eine tröstende Hand
Nirgends ward mir ein trautes Dach
Wo ich liebe, ernte ich Hohn
Beissender Spott ist mein Erdenlohn
Narr bin ich Allen tausendfach.
Aber Du, Heiliger, kennst meinen Sinn
Ist mein Becher bitter und scharf
Schenk mir die Kraft der ich bedarf
Zu harren bis ich am Ziele bin.


Tageszeiten - Jahreszeiten

Du kleine Stadt am grossen See

Du kleine Stadt am grossen See
wie hab ich dich so herzlich lieb gewonnen.
Die kühlen Nebel und die warmen Sonnen
erlösten mich von einem alten Weh.
Du hast mein wildes ruheloses Blut
verwandelt in ein still beschaulich Fliessen
und wahrer Freundschaft Glück geniessen
als meiner Tage unvergänglich Gut.
Es sind des Alters Dämmerstunden nicht,
die mich bescheiden und gelassen machen.
Noch spür ich Heiterkeit und frohes Lachen
in meines Herzens jugendlichem Licht.

Wenn die Nächte

Wenn die Nächte und die Unterhosen länger werden
wird es im Wald und in der Buchhaltung frostiger
und die Fahrräder werden immer rostiger
dafür wird es immer fröhlicher auf Erden.
Die Stadtarbeiter hängen grosse Sterne in die Strassen
wofür die Kinder und die alten Frauen danken
aber die Kasse des Vaters kommt arg ins Schwanken
denn die Wünsche der Lieben verlieren die Massen.
Aus dem Warenhaus tönt es von stiller Nacht
trotz Strassenlärm und Kindergeschrei
aber im Januar ist alles wieder vorbei
nur der Gerichtsvollzieher ist auf der Wacht.

Eibe

Ein ernstes dunkles Grün
nach aussen zeigend
ein sanftes Grün fast bläulich
an der verborgnen Innenseite
so stehst du da
mit zähem Holz
nur langsam wachsend
aber stetig.
Es ruft dein Bild mir zu:
Bleibe dir selber treu.

Mit Flügeln aus feinstem Samt

Mit Flügeln aus feinstem Samt
verstickt mit bunter Seide
schwebst du von Kelch zu Kelch
im Glanz der Sonne.
Wir ahnen bloss die Seele
die dich trägt.
Wir wissen nicht was dich bewegt
im Licht zu tanzen
doch es genügt
zu freuen uns
an deinem Sein.

Die Zeit der Rauhen-Nächte

Weil nun die Zeit der Rauhen-Nächte
die Geister aus den Wäldern treibt
wo sich die dunkeln Erdenmächte
in Fels und Bäume eingeleibt,
Will ich ihr Lied den Feldern singen
wo jede Scholle ängstlich lauscht
wenn Sturm und Schnee und Regen rauscht
und Luren durch das Dunkel dringen.
Der Christenmensch bekreuzt sich zitternd
weil Böses er aus Bösem ahnt
Die Kraft der Erde, die er wittert,
hatt' er in frevlen Trug gebahnt.
Er hat dem Kind den Weg verschlossen
zum heilen Wirken der Natur
und über See und Wald und Flur
der Theologen Hass gegossen.
Jetzt zur Zeit der Sonnenwende
legt die Erde ihr Gewand
zu des Himmels Füssen nieder
als der heilgen Hochzeit Pfand.
Und die Kräfte von Erde und Himmel vereinen
in brausendem Sturm und magischer Ruh
sich im unbegreiflichen sprachlosen Weinen
dem werdenden wachsenden Frühling zu.
Du menschliche Seele ertaste das Wirken
der irdischen Kräfte zum kommenden Fest
wenn in den steigenden Säften der Birken
die Erde das Laub aus den Knospen entlässt.

Der Abend

Der Abend schleicht sich durch die Hügelketten
und heisst die Täler still und dunkel sein.
Nur da und dort entzündet er ein Licht
und löscht es wieder aus und zögert nicht,
noch vor des Mondes erstem fahlen Schein
das ganze Land in tiefe Nacht zu betten.

Es schläft das Dorf, darin nur einer wacht,
der alte Brunnen hört sein innig Beten.
Die Rosenhecke zittert sanft in lauer Luft
und schüchtern fast verströmt sie ihren Duft.
Ein leises Glöcklein sagt der stillen Nacht,
dass eine alte Frau den Heimweg angetreten.

Der weisse Flieder

Der Lenz rief ihn wie jedes Jahr,
nun leuchtet er hell aus sattem Grün,
er duftet so seltsam, so wunderbar
und will der Liebsten am Mieder blühn.
Mein Lieb ist tot, was kann denn bloss
der Flieder mir noch taugen?
Da brechen die Tränen hemmungslos
aus den alten einsamen Augen.


Menschen

Menschen

Ein jeder plant und forscht und kalkuliert,
dass er des Lebens Fülle ganz erfasse.
Er sucht im Dickicht des Geschehens eine Gasse
ins Land, wo Liebe sein Bemühen ziert.
Sie suchen alle nach dem einen Stern,
der ihren Wünschen und Begehren glänze,
und immer hoffend übersehn sie gern
das stille Welken ihrer Rosenkränze.
Sie kämpfen tapfer um ein flüchtig Ziel
und keiner weiss, wohin die Reise geht.
Und keiner kennt den Preis in diesem Spiel,
und keiner weiss, wann ihm der Hauch verweht.

Meinem Bruder

Du lebst im Tempel der Beschaulichkeit,
und keine Schuld trifft Dich an fremden Qualen.
Ich aber frag die Sterne an dem fahlen
Himmel der Dämmerung nach der Zeit.
Gelassen schaust Du ins Getrieb der Zeit
Begierdelos suchst Du der Sonne Strahlen.
Ich aber ringe mit der Zahl der Zahlen,
und alles ist mir Waffe, Kampfplatz, Streit.
Doch was uns eint und immer ein'gen soll
der Fackeln dreie, die ein Gott uns hüte,
bis einst der Kelter unsres Lebens voll
Die Wahrheit, Freiheit und die weise Güte.

Der Architekt

(Oft verkannt doch nie verdurstet)

Der Architekt steht froh und heiter
im Kreise seiner Mitarbeiter.
Wenn alle Auftragsbücher voll
und alles läuft so wie es soll,
den Göttern dankt er für dies Los
mit einem Schluck vom Calvados.
Doch kommt einmal ein trüber Tag,
wo nichts mehr läuft so wie man's mag,
dann trotzt er dieser Schicksalstücke
und überbrückt auch diese Lücke
entschlossen, mutig, rigoros
mit einem Schluck vom Calvados.

Der Steinbock

Der Steinbock ist ein grosses Tier,
er lebt zumeist im Bergrevier.
Er hat zwei Hörner gross und krumm.
Der Jäger jagt ihn grad darum,
die hängt er in die gute Stuben
und prahlt damit bei kleinen Buben.
Das leuchtet diesen mächtig ein
und wollen auch mal Jäger sein
und killen dann als grüne Röcke
zuletzt die letzten Steineböcke.
Dann kommt Naturschutzbund ins Haus
und setzt erneut die Böcke aus.
Drauf fängt nach vorgelebtem Plan
die Sache wieder vorne an.

Ich halte nicht besonders viel

Ich halte nicht besonders viel
vom Trommel- und vom Kirchenspiel,
sie wollen beide stets das gleiche,
dass die Vernunft dem Menschen weiche.
Sei es im Kriegsdienst, bei der Predigt,
der freie Mensch wird bald erledigt,
mit Gott und nationalen Ränken
verhindert man das klare Denken.


Von der Liebe

Nur wenn du weisst

Nur wenn du weißt, dass du ein Ganzes bist,
das eines andern Ganzen Seins bedarf
um ganz zu sein,
weißt du, was Liebe ist.
Die Sonne ist ein Ganzes in des Lichtes Fülle,
Die Erde ist ein Ganzes in des Schattens Stille,
Und ihr gemeinsam Sein bewirkt das Leben.
Glaub nicht, dass du allein durchs Leben gehen kannst,
Bist du allein, dann stehst du still,
auch wenn du eilst von Ort zu Ort.
Nur zwei, die gegenseitig sich ergänzen,
Obwohl sie ganz sind selber,
Finden den verschlungnen Pfad nach Oben.

Spüre mit deinen Füssen die Erde

Spüre mit deinen Füssen die Erde
taste mit deinen Händen den Baum
Spüre den Hügel im Rücken, das Werde
und den ewigen Atem im Raum.
Tauche hinein in den See der Empfindung,
die den tausend Blüten entströmt.
Ahne den Wandel, die Ueberwindung,
die durch das Rauschen der Blätter tönt.
Leben ist Wandel und strömendes Sein.
Höre den fliehenden Klang in den Winden,
Ruhe kann dein Herze nur finden
in der Liebe verborgenem Schrein.

Ein feurig Rot

Ein feurig Rot vom mädchenhaften Weiss gedämpft
so warst Du Deiner Farbe tief verbunden.
Hingebungsvoll in unvergessnen Stunden
hast Du zu andern Zeiten hart gekämpft.
Ich war zu jung, um ganz Dich zu verstehn,
und zu verliebt, die Tage zu erkennen,
die zwischen sanftem Schein hell lodernd brennen
und wie im Sturme rauschend untergehn.
Wenn in der Nacht die Bilder unsrer Zeit
in allen Farben durch die Sinne streifen,
dann dämmert mir ein schmerzliches Begreifen
und wirft mich in verschuldete Verlassenheit.

Es wuchern meine Gedanken

Es wuchern meine Gedanken
um dein Herz und dein Gemüt
wie des Tatras wilde Ranken
im verwilderten Garten erblüht.
Der Drossel zaghaftes Singen
im ersten dämmernden Schein
zieht auf verzauberten Schwingen
in die einsame Kammer herein.
Was willst du, törichte Liebe,
in mein altes Herze ziehn,
damit ich Verse schriebe,
die durch die Nächte fliehn.

Ein Tag wie jeder andere

Es sei ein Tag wie jeder andere,
behauptete der blonde Christian,
wenn man das ganze Jahr durchwandere,
so komm es auf den einen Tag nicht an.
Er sprach es leicht und trank sein Bier
und sog an seiner kalten Pfeife.
Er weiss ja nichts von jener Zeit mit Dir,
und wie das Schicksal oft in's Leben greife.
Ich sprach kein Wort mehr in der kleinen Runde
und träumte nur an jene Zeit zurück
an jede einzelne erfüllte Stunde
an jeden Kuss und jedes Liebesglück.

Keinen ungeküssten Kuss will ich beweinen

Keinen ungeküssten Kuss will ich beweinen
und kein Abenteuer, das steril vorüberzog,
und kein Lämpchen, das sich weigerte, zu scheinen,
Und kein Hoffnungsschimmer, der mich kalt belog,
will ich aus Gehirn und Herzen drängen,
denn sie waren doch das Schattenspiel,
das in Augenblicken und in Nächtelängen
plastisch durch das Licht der Liebe fiel.

Erinnerung

Wenn ein Vogel singt, leis oder laut,
Tönt es immer lieblich, traut.
Alles was schön ist, alles was fröhlich ist,
Alles erinnert mich an Dich.
Wenn ein Blümlein blüht am grünen Hain
Blüht es gross, blüht es klein.
Alles was gut ist, alles was lieblich ist,
Alles erinnert mich an Dich.
Wenn ein Sternlein blinkt im weiten Raum,
Immer umfängt's mich wie ein Traum.
Alles was hehr ist, alles was edel ist,
Alles erinnert mich an Dich.

Denk nicht an die Rosen und Nelken

Denk nicht an die Rosen und Nelken,
Die ich zum Kranze Dir wand.
Sie mussten alle welken,
Gebrochen von heisser Hand.
Denk nicht an die vielen Lieder,
Die einst ich sang in der Nacht.
Ein Anderer singet sie wieder,
Der nächtens in Liebe wacht.
Denk an die Augenblicke
vergessend erlösender Lust
Sie stehen am Weg der Geschicke
In meiner irrenden Brust.

Die Seele des Tanzes

Der Ausdruck des Tanzes kommt aus des Herzens Grund.
Es tanzt sich die Seele ihre Flügel wund!
Die Anmut der Bewegung beflügelt nur sie —
Wer aus ihr schöpft verzaget nie!
Sie gibt ihrer Sehnsucht Ausdruck im Licht —
Ihre Welt ist der Tanz — der die Finsternis bricht —
Immer neue Quellen lässt sie erschliessen —
Die sich von einer Bewegung in die andere ergiessen!
Schwinget empor ihr Glieder —
Singet tanzende Lieder!
Die Schönheit — die ihr baut —
Hat noch kein Auge geschaut!

Die Liebe geht um die Welt

Es ist die Liebe — sie geht um die Welt —
Und tut nur — was ihr gefällt —
Sie bindet — sie flicht — sie lebt und webt —
Alles in die Höhen des Himmels sie hebt!
Nicht schwanken wollen wir — und nicht ruhen —
Bis wir ihr gleichen in unserem Tun —
Und Eins werden mit dieser Macht —
Die alles Unmögliche möglich macht!
Flügel hat sie und Inspiration —
Ein Leben in Frieden ist ihr Lohn!
Ergeben wir uns dieser göttlichen Gnade —
Lasst schenken uns ganz — dieser reinen Gabe!

Die Schönheit der Seele

Sie leuchtet von innen heraus —
Aus der Seele eigenem Haus!
Aus dem Winkel der Verborgenheit
Leuchtet die Seele weit!
Sie leuchtet in jedes Herz —
Das da schauet himmelwärts —
Sie zieht es mit zu sich empor
Und schenkt ihr ein offenes Ohr!
Der Seele Glanz ist unerreicht —
Keines Auges Blick hat sie je erreicht.
Doch ihre Schönheit offenbart sich ganz
In der Augen ungebrochenem Ganz!

Gnade

Was ich brauch — mein Vater — ist viel Sonne und ein Tisch,
Zu schreiben mit Wonne Deine Geschicht',
Die uns Frieden bringt — wo Deine Gnade regieret segensreich —
Wo der Baustein der Liebe nicht von uns weicht.
Öffne unsere Seele — dass sie Dich sieht —
Dass sie niemals mehr von Dir flieht.
Und kannst Du nicht kommen auf Erden —
Müssen wir Gott-gleich werden!


Ballade

Käfer - Saga

Lana merdigera (7 mm, schwarz mit rotem Halsschild und Flügeln; Krokydolith)

Dass Du mir ja nicht dem Verdacht erliegst,
ich hätte bei der folgenden Geschichte
geflunkert oder Gärtnerbast gerupft,
sei Dir zum Voraus wahrheitstreu erzählt,
durch wen ich von der Sach' erfahren habe,
die meine heutige Epistel konzipiert.

Ein prähistorischer Krokydolith,
mit andern Worten, ein vieltausendjähr'ges
wie brauner Sammet farb'ges Tigerauge
hat einst aus sich'rem Felsenspalt erspäht
den ganzen Hergang, alles wohl gemerkt
und mir vor Kurzem eines Nachts erzählt.

Ich hab' es also, wie gesagt, aus erster Hand,
und wie Du weisst, seh'n Tigeraugen scharf.
So ist denn an der Sache nicht zu zweifeln.
Und überdies, wie Du noch sehen wirst,
hat die Geschichte einen logischen Aspekt,
weshalb Du sie als bare Münze nehmen mögest.

Und nun zur Sache. Vor der grossen Flut
— die Sündflut nannten's später die Historiker —
lag einst am sonnenseit'gen Fuss des Kaukasus
ein schöner Garten gross und wildromantisch.
In diesen Garten kam der Götterbote,
sich auszuruhen, jedes Wochenende.

Nun stand in Hermes' Dienstheft Seite zwo,
dass, unter Anderm, ihm die Pflicht zufalle,
ein jeglich Pflänzchen und ein jedes Tier
mit einem sinngemässen Namen zu versehen,
damit man später am Gymnasium
ein jeglich Ding genau bezeichnen könne.

Und Hermes tat wie Zeus ihm aufgetragen,
zu jeder Pflanze ging er hin und nannte sie
nach ihrem Wesen und nach ihres Daseins Sinn.
Dann, als das ganze Pflanzenreich benannt,
rief er die Tiere einzeln zu sich her,
um auch an ihnen seine Pflicht zu tun.

Da kamen sie in Scharen angetrollt
vom riesigen Mammut bis zu der Maus
vom Vogel Rock bis zu der Silberfliege
Der Bismarckhering und der Wiedehopf,
der Pfau, der Eisbär und die Küchenschabe,
und bis auf einen waren alle da.

Nur einer fehlte noch, man rief ihn laut,
und Hermes wetterte und schwor beim Zeus,
den kleinen Wicht empfindlich zu bestrafen.
Doch er kam nicht.
Hermes beschrieb ihn drauf, damit
auch mit Erfolg den Lump man suche und erhasche.

Nach vielen Tagen kam ein Wanderfalke
zum Götterboten Hermes angeflogen
die eklatante Meldung überbringend,
dass man den Säumigen gefunden habe.
Nur sieben Unzen lang sei er mit dunklem Leib
und purpurroter Hals- und Flügeldecke.

Unzweifelhaft sei er vom Käfervolk,
zwar klein an Wuchs doch gross in seinem Herzen.
Drauf wollte Hermes wissen, wo der Käfer sei.
Der Falke führte ihn in einen stilen Winkel
des grossen Gartens. Mitten in der Pracht
der schönsten Polsterblumen stand
die Lilium rex, die königliche Lilie.
Und um die Blüte krabbelte verliebt
ein kleines rotes Käferchen herum.
Er liess sich auch nicht von den Göttern stören,
die auf des Hermes Meldung hin gekommen waren,
Gericht zu halten wegen Ungehorsams.

Als Aphrodite die Idylle sah,
der Lilie Schönheit und des Käfers Herz,
da ging sie hin und sprach ein ernstes Wort
mit Vater Zeus in Sachen Zärtlichkeit.
Und kurz und gut, man einigte sich schnell,
man wies die Klage ab, und Aphrodite
taufte den Freigesproch'nen feierlich
Lana merdigera, der Lilienkäfer.
Man hat den Vorfall lange noch erwähnt.
schloss den Bericht das Tigerauge dann,
doch fügte es verstohlen noch dazu:
Eros sei Pate und Verbindungsmann noch heut.

Fabel

Zum alten Ochsen sprach der junge Stier:
"Zieh' deine Stirne nicht in Falten,
Lass mich in Übermut und Freuden walten,
Niemals, mein Alter, gleich ich dir."

Und es begab sich, da die Zeit verflogen,
Da hat das ehemals so junge Vieh
In trüber, öchsischer Melancholie
Den Pflug durch's Ackerland gezogen.


Jakob M. Gretler